Sonntag, 31. März 2013

Verwaltungsgebäude der Böhme Fettchemie Chemnitz


Heute sieht man Chemnitz ihre ehemalige Rolle als sächsiches Industriezentrum nicht, vom ehemals größten Rangierbahnhof Deutschlands blieb nur ein Geröllhaufen, die meisten Unternehmen von Weltrang sind längst vergessen. 
Heute ist Chemnitz wahrlich kein Industriestandort von internationaler Bedeutung, die alten Fabriken werden entwürdigend als Lagerhallen und Proberäume genutzt, warten langsam auf den Abrissbagger, nur manches findet eine dauerhafte neue Funktion als Museum oder Wohnhaus mit schicken Lofts. Nun ja keine Industrie, dafür siehts nicht mehr so grau aus und es gibt eine Innenstadt. 

Heute besuchen wir das Verwaltungsgebäude (BJ 1939) der Fettchemie und den späteren Sitz der Treuhand in Chemnitz.

1932 entstand hier die berühmte FEWA (Abkürzung für Feinstwaschmittel) bei der Böhme AG, später wurde das Werk vom Henkel-Konzern erworben und nach dem Krieg als VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt weitergeführt. Auch der Geschirrspüllmittel Fit wurde zunächst hier produziert. Wüsstet ihr, dass nicht zivilisierte Menschen von außerhalb Spülmittel nicht Fit, sondern Spüli nennen? :D

Nach dem Ende der DDR gab es wohl Überlegungen seitens Henkel die ehemalige Tochter mit langer Tradition weiter zu führen, aber man begnügte sich anscheinend mit dem Aufkauf der Reste.
Es finden sich im Internet Hinweise zur Henkel Fettchemie Chemnitz GmbH mit Sitz in Dortmund, aber sie ist inzwischen anscheinend auch Geschichte.

Die meisten Produktionsanlagen wurden abgerissen, das Areal um die Neefestraße zu einem modernen "Industrie verbindet sich mit Sozialarbeit"-Gewerbegebiet nebst Büroturm und Jugendeinrichtungen (inzwischen meiste umgezogen, da keine Jugend), Spiele-Museum und Industriegeschichte in Form von Informationstafeln und alten Kesseln umgebaut. Heute sieht alles eher heruntergekommen aus.
In dem Verwaltungsgebäude saß noch paar Jährchen die Treuhand und seit dem herrscht Leere.

Ende März brachen wir mit dem ersten Zug Richtung Neefestraße auf, leider besitze ich weder besonderen Talent noch entsprechende Fotoausrüstung. Außerdem stand das ganze Erkundungsteam unter einem schrecklichen Zeitdruck. Wir mussten an dem Tag zur Verkostung von einem tollen Bier. Wenn es Ende April (oder doch im Mail?) wieder mehr Schnee liegt, liefere ich möglicherweise bessere Bilder nach.

Majestätisch erhebt sich das Gebäude, das geübte Auge merkt den Leerstand, dennoch ist das Bauwerk von dieser Seite in einem guten Zustand.
Eingang und ein verdächtiger, obdachloser Assozialer.
Auf der anderen Seite sieht das Gebäude schon deutlich abgekämpfter aus.
Da wir weder anerkannte Chemiker noch treue äh Händer (?) sind, nehmen wir nicht den Haupteingang, sondern untersuchen eine verdächtige Treppe in den Untergrund.
 

Da verbergen sich erstaunlich weite Gänge und viele Räume. Nur die glücklichsten Chemiker hatten ein Fenster mit ein bisschen Tageslicht.
Dafür sind die Fenster doppeltverglast und wunderschön. Entweder belohnte die Treuhand die besten Mitarbeiter mir sicheren Kellerbüros oder die Fettchemie spie im Todeskampf Aufträge an befreundete Handwerker aus.
Ein sonst mutiger Expeditionsteilnehmer hatte vor den mineralwassertrinkenden subversiven Elementen Angst und verzog sich aus dem Fenster.
Wer hart arbeitete, durfte in diesem Ausgang Schlittschuhlaufen. Weitere Infos, Grundriss und Bilder von diesem "Schutzkeller" gibts bei sperrgebiet.de . Aber dieser Gang ist dort nicht eingezeichnet.
Durch die dunklen Gänge gelangt man in das Hauptgebäude, hier der Ausgang zur Neefestraße mit Fettchemie-Überbleibsel. 
Paar Impressionen aus dem Keller. Entweder wussten sich die Chemiker sich anders zu helfen oder sie sind einfach die besten Menschen der Welt; treue Ehemänner, liebevolle Familienväter und aufrechte Spezialisten. Und natürlich Mütter und -Innenen.
Im Regelfall sieht man in jeder DDR-Ruine riesige Weinballons, die DDR-Bürger waren wahre Multitasking-Talente, sie verbanden Hobby und Arbeit perfekt. Nur die Chemiker tranken nur ein Feierabend-Bier ....


 ... dafür in der Badewanne liegend.
Der lange Winter erschuf schöne Eisgebilde.

Diese Tastaturbelegung stammt von einer CNC-Fräsmaschine.
Das Erdgeschoss ist renoviert, aber in keinem schönen Zustand.
Genau so stelle ich mir Bankgebäude der dreißiger Jahre in New-York vor. Dunkle Hölzer, schnörkellos und erhaben. Männer in Anzügen, Hütten und Aktentaschen laufen geschäftig vorbei ....
Herrlich! Es gibt sogar einen Paternoster-Aufzug! Von dem habe ich leider (noch) keine guten Bilder.

Obwohl die Treuhand die DDR-Industrie nach bestem Wissen und Gewissen in die kapitalistische Wettbewerbsfähigkeit führte, hatte man sich unter ehemaligen Arbeitern und Bauern wohl keine Freunde gemacht, die Sicherheitsvorkehrungen beeindrucken.
 
Das Gebäude war hermetisch abgeriegelt, der Weg führte nur an der Rezeption vorbei.
Und da saß entweder eine wahre Furie von einer Sekretärin oder ein MG-Nest.
Das Gebäude ist von Vandalismus gezeichnet. Teilweise sind sogar alle Waschbecken etc. in Toiletten zu Scherben geschlagen.
Irgendein hohes Tier hatte einen waschechten (auch mit Fewa. Ha ha ....) Tresor!
Was sich dort wohl verbirgt?
Was ist das?
Die obere Kabine des Paternosters. Was sonst?! Und der Blick nach unten mit Fassung für Glühbirnen.
Halbstarke?  Halb-Starke!
 Dieser Teil des Gebäudes ist in einem deutlich schlechteren Zustand.
Nach dem dunkelsten Winter aller Zeiten tut so ein Bild nur gut.
Das seltsame Gebilde beinhaltet wirklich Faszinierendes. "Säurebunker". Toller Name.
Seltsame Arbeitsstätten. Die Eisengitter konnte man zur Seite schieben um irgendwelche alchimistische Prozesse zu beobachten. Wie genau die Arbeit ablief, bleibt mir schleierhaft.
Und von da kommt das Tageslicht. Sehr umweltfreundlich und die Druckwelle darf gutes Gewissens entweichen. 

Sicherheit geht vor. Löschdecke, Feuerlöscher,  imprägnierte Decke, Löschbrause.
Außerdem beherbergte das Gebäude Lager für verschiedene Chemikalien usw.
 Und gleich neben dem Säurebunker steht die Villa des Herrn Fabrikbesitzers.
Wieder im Hof. Die Klappe lässt sich öffnen und da gehts ein Stückchen nach unten. 
Die Schlüssel liegen säuberlich in Briefumschlägen auf einem benachbarten Tisch.
 Auf dem Balkon.


Im Hintergrund ist unser Einstieg. Das Gelände diente mit Wasserspielen usw. repräsentativen Zwecken und als Parkplatz. TU Berlin hat eine tolle Sammlung der alten Bilder der Grünflächen. Den Säurebunker gabs damals anscheinend nicht, der Großkapitalist in seiner Villa brauchte  keine Angst zu haben :D
Ein Blick ins Innere. Der Boden ist mit lustigen Kärtchen übersät.

 Wahrscheinlich geschah das Erstgenannte zu oft.
 Ostdeutsche Superhelden.
Originaleinrichtung aus den 30igern?

Nicht mal beim Bundesanzeiger zu bekommen. Fragmente einer alten Bilanz.
Der Speisesaal ist in einem deutlich schlechteren Zustand. 

 Die angrenzende Küche (?) zeichnet sich durch einen wunderschönen Warenaufzug aus.
 Ist sogar relativ neu. Paar Jahre später war hier Feierabend.
Blick von der Feuertreppe. Im Hintergrund sind die wunderschönen Plattenbauten. Sind übrigens wirklich tolle Orte zum Wohnen. Schöne Aussicht, grüne Stadtteile dank freier Bebauung, Infrastruktur und sicher total umweltfreundlich.
Aber im Vergleich hierzu ein bisschen seelenlos.
Eine gute Seele stellte diesen fotogenen Ordner bereit. Wie viele solcher Bilder es wohl gibt?
Das Haupttreppenhaus in aller Pracht.
Der Herr Meyer wurde von kreativer Jugend verewigt. Seinen anderen Kollegen(-innen) wurden unglaubliche sexuelle Fähigkeiten zugeschrieben. Aber es gab auch andere naiv-lustige Kritzeleien. "Letzte heile Glasscheibe" oder "Fenster auf, Fenster zu"- Selbstmordanleitung.

Französischer Kalender mit herausragender Technik im Inneren- Bändchen, Zahnräder, Wochentage die statt 7, 14 mal geschrieben sind. Ich vermute ein Souvenir von der Leipziger Messe für Franzosen oder sogar junge, aufstrebende, afrikanische Nationen.
Mikrofilmprojektor. Auf den, nur ein paar Monate alten, Facebookfotos anderer Leute war er noch heil. Ich traue mich kaum das Gebäude irgendwann wieder zu besuchen, selbst nach wenigen Monaten entdeckt man frische Zerstörung.
Ein Blick auf die Skyline von Chemnitz mit dem großen Schornstein des Heizkraftwerks  , dem immerhin höchsten Bauwerk Sachsens, und Hotel Mercure in der Innenstadt. Die Idee der lustigen Bemalung hatte natürlich ein renommierter Künstler, uns einfachen Sterblichen würde sowas nie einfallen.
Und nochmal die gegenüberliegende Seite zum Hof.
Der zweite Aufzug. Auch recht neu aus den 80igern. Wegen des Zeitdrucks habe ich die ein bisschen interessantere Paternoster-Aufzugtechnik nicht fotografiert, dort war es einfach stockfinster. Im Grunde sah man aber auch nur Zahnräder und solche Kästen.
Noch weiter nach oben geht es nicht.
Das tolle hölzerne Dachgeschoss beinhaltet in der ersten Ebene einen riesigen, leergefegten Archiv mit meterhohen  Holzregalen. Die nächste Etage ist weit vom Einsturz entfernt, dennoch nagt der Zahn die Zeit. Vereinzelt  sieht man den Himmel oder auch die untere Etage durch die Holzdielen.

Hoffentlich findet sich nächste Zeit ein Investor, noch lässt sich alles wahrscheinlich problemlos renovieren.

Weiterführendes:
Es lassen sich relativ wenig Infos über die Fettchemie finden. Zumindest für die faulen Menschen des Internetzeitalter.


Auf Facebook ist die "Verlassene Orte Chemnitz - Impressionen" Gruppe aktiv, sie gehen regelmäßig den Spuren Chemnitzer Industriegeschichte nach und haben auch die Fettchemie besucht. 



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